krachwitz gmbh – eine firmenchronik

Geschichten einer gelangweilten Angestellten

6. Die Reptilieninvasion oder: Wir dürfen hier nicht rein!

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Nach einer panisch auf meinem Schreibtisch verbrachten Viertelstunde und Hilferufen per SMS an meine noch im Bett liegende Kollegin, die mich im Angesicht mit einer Blindschleiche, die ich nach ihrem Herausschlängeln aus unserem Büro nicht weiter verfolgen möchte, beschützen soll, beschließe ich, dass endlich etwas getan werden muss. Zum einen sollte ich kürzere Sätze schreiben, zum anderen kurze Hilferufe an weitere Beschützer versenden. Eine weitere SMS mit dem Inhalt „Blindschleichenalarm!!!“ wird an unseren Azubi geschickt. Später stellt sich heraus, dass diese nie bei ihm ankommt, da es einen Zahlendreher beim Speichern seiner Handynummer gab. Was der unbekannte Empfänger über meine SMS gedacht haben muss, wird sein Geheimnis bleiben. Gerettet hat er oder sie mich jedenfalls nicht, was mein Vertrauen in die Menschheit deutlich getrübt hat.

Schon auf meinem Weg zur Küche, in der ich meiner Pflicht als Frau nachgehe und Kaffee für die Herren des Betriebs aufsetze, begegne ich dem Biest. Freudig schlängelt es sich unter einem Schrank hervor und zieht seine Bahnen. Bitte bieg nicht wieder in unser Büro ab, schießt es mir durch den Kopf. Welche Richtung sie einschlägt, kann ich leider nicht erkennen, da ich nach einem kurzen Sprint auf meinem Schreibtisch lande, von wo ich keinen Blick auf den Boden im Türbereich habe. Zwei Schreibtischsichtschutzwände, die ihrem Namen alle Ehre machen und lediglich vor Sicht schützen, stehen im Weg. So verbringe ich die nächsten Minuten verängstigt auf meinem Schreibtisch in Embryostellung, die Beine dicht an den Körper gezogen.

Als meine Kollegin endlich auftaucht, lacht sie mich zunächst aus, weil der Anblick, wie ich zusammengekauert auf meinem Schreibtisch verweile, wohl einfach zu komisch ist. Da ich mich auch fünf Minuten später nicht vom Fleck bewegen lasse, macht sie sich mutig auf die Suche nach dem Reptil. Nachdem es für den Weg aus unserem Büro Entwarnung gibt, hetze ich zum gerade eingetroffenen, einzigen momentan anwesenden Herrn und bitte ihn, die Schlange zu entfernen. Von seinem männlichen Beschützerinstinkt gepackt, begibt er sich eifrig, mit einem Mülleimer bewaffnet, auf die Suche. Minuten später findet er das Objekt unseres Ekels im Büro des ehemaligen Juniorchefs. Da passt das Vieh gut hin, kommentiere ich das Geschehen innerlich. Im Eimer gefangen wird es liebevoll neben diverse Hundehaufen und Unmengen von Unkraut in der nächstbesten, an unser Büro angrenzenden Wiese ausgesetzt. Trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl. Bisher sind Eindringlinge dieser Art fast immer im Doppelpack aufgetaucht.

Nachdem ich meinen ganzen Mut zusammennehme und Herrn Krachwitz auf die Missstände aufmerksam mache, werde ich -nicht ganz so überraschenderweise- überrascht. Zum Ursprung der Blindschleichenplage ernennt er fachmännisch die Schreibtischschublade meiner Kollegin Frau Hinz, in welcher er ein Nest vermutet. Sogleich macht der Held in graumelierter Rüstung sich auf, um nachzusehen. Wie sich herausstellt, ist der Schreibtisch verschlossen, weshalb sich seine Theorie nicht überprüfen lässt. Da besagte Dame glücklicherweise noch nicht im Hause ist, um sich gegen die irrsinnigen Anschuldigungen zu wehren, bleiben weitere Panikattacken meinerseits aus und mein Gehirn beginnt wieder zu arbeiten. Ich stelle gekonnt fest, dass die Schublade wohl eher nicht als Hort des Unheils in Frage kommt. Zumindest erscheint es mir unwahrscheinlich, dass sich die nun im Exil befindliche Blindschleiche die Mühe machte, die Schublade nach Verlassen wieder zu verschließen. Bei weiterem Nachdenken bin ich mir dann auch relativ sicher, dass meine Kollegin ein Reptiliennest in ihrem Schreibtisch irgendwann erwähnt hätte. Nach einer halbstündigen, von Herrn Krachwitz vorgetragenen Anekdote über Schlangen, die nicht mit einer Pointe dienen kann, aber immerhin zum Thema passt, versichert er mir, wie ernst er dieses Problem nehme: „Wissen Sie, ich kann Sie da voll und ganz verstehen!“, erklärt er, „wir befinden uns da wirklich in einer ganz schrecklichen Lage! Bitte setzen Sie sich mit dem Naturschutzbund in Verbindung und fragen Sie nach, was man denn in so einer misslichen Lage machen kann!“ Gleichzeitig soll sich meine Kollegin darum kümmern, Rat bei unserem Rasenmähermann einzuholen, obwohl dieser schon seit Monaten nicht mehr für uns tätig ist. Der aus Kroatien stammende Bursche stößt Herrn Krachwitz von Anfang an schlecht auf: „Keine Ahnung, ob der überhaupt richtig Deutsch kann, aber in seinem Land hat man von Rasenmähen keine Ahnung! Der ist nichts für uns!“. Trotzdem ist er überzeugt davon, dass der Herr zur Klärung des Problems beitragen kann, weshalb er kontaktiert werden muss. Vielleicht kann man in seinem Land Schlagen beschwören und deshalb ist er unser Mann, kommentiere ich die Situation innerlich. Ich wundere mich dennoch, nicht auch noch die IHK, den Papst und Amnesty International alarmieren zu müssen. Da komische Aufgaben zu meinem Tagesgeschäft gehören, beginne ich schulterzuckend eine E-Mail zu schreiben, während der gute, alte Mann um das Bürogebäude rennt, um nach Schlupflöchern in der Hauswand zu suchen.

Von: <antonia.scholl@krachwitz-gmbh.info>

An: <martin.hartmann@nabu-nabu.nabu

Betreff: Nachricht über Kontaktformular

 

Sehr geehrter Herr Hartmann,

die Firma Krachwitz GmbH hat seit einigen Monaten das Problem, dass immer wieder kleine Blindschleichen in den Büroräumen auftauchen. Leider wissen wir nicht genau, wie diese Ihren Weg ins Innere finden, aber könnten Sie uns einen Tipp geben, was wir dagegen machen können?

Ich freue mich auf Ihre Antwort und verbleibe bis dahin

Mit freundlichen Grüßen

Antonia Scholl

Von: Martin Hartmann

An: Antonia Scholl

Betreff: Blindschleichen in den Büroräumen

 

Hallo Frau Scholl,

bin auch ein klein wenig ratlos wg. Ihrer Blindschleicheninvasion und habe deshalb mal bei unserer Landesgeschäftstelle nachgefragt (siehe eMail unten). Irgendwie müssen die Tiere ja ins Gebäude reinkommen, vielleicht lässt sich ja der Zugang irgendwie verstopfen.

Grüße vom sonnigen Schreibtisch,

Martin Hartmann

—–Ursprüngliche Nachricht—–

Von: Martin Hartmann

An: Jürgen Schwarz (gesch.)

Betreff: Blindschleichen in den Büroräumen ?

 

Hallo Jürgen,

habt Ihr jemand der sich mit Reptilienivasionen auskennt?

Grüße,

Martin

Von: „Jürgen Schwarz“

An: „Martin Hartmann“

Betreff: AW: Blindschleichen in den Büroräumen ?

 

Hallo Martin,

das müsste man sich mal ansehen. Es muss ja irgendeinen Zugang geben. Öfter gibt’s mal Rückfragen bei uns wegen Tieren, die in Kellerschächte gefallen und dann in den Keller gewandert sind. Da helfen entsprechend feinmaschige Gitter vor den Kellerschächten. Sollten die Blindschleichen bereits tot sein, käme evtl. auch eine Katze als Vektor in Frage.

Bei Blindschleichen könnte es auch sein, dass irgendeine Wärmequelle die Tiere von draußen lockt: Wenn es z.B. in der Nähe einer Tür einen Haufen mit Gras oder Kompost gibt (in dem sich Eier von Blindschleichen entwickeln), könnte die Gebäudewärme die Tiere jetzt im Herbst ins Innere locken…Schaust Du Dir das mal an?

Ggf. könnten die mal ein Bild vom Eingang ins Büro machen. Vielleicht sieht man schon, ob es vor der Tür ein schönes Quartier für Blindschleichen gibt.

LG

Jürgen

Von: Antonia Scholl
An: Martin Hartmann
Betreff: AW: Blindschleichen in den Büroräumen ?

Lieber Herr Hartmann,

vielen lieben Dank für Ihre Bemühungen und Ihre schnelle Antwort! Rund ums Bürogebäude befindet sich eine Wiese bzw. ein dicht bewachsenes Gebüsch, zudem sind Risse in der Außenfassade. Wir haben im Büro schon alle Schränke verrückt und mögliche Eingänge „gestopft“, allerdings ist nach wie vor unklar, wo genau die Blindschleichen reinkommen. Die Eingangstüre schließe ich aus, da diese zu weit von den Tierchen entfernt ist.

In den letzten 8-10 Wochen hatten wir 6 „Besucher“, davon alleine gestern und vorgestern jeweils eine. Leider wissen wir nicht, ob es immer dieselbe ist, da wir die Blindschleichen so weit wie möglich vom Büro wegtragen und dort wieder freilassen. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Tagen Ruhe haben werden und unsere „Abdichtungsaktion“ erfolgreich war.

Ist momentan eigentlich „Schlangenzeit“? Machen Blindschleichen, die ja genau genommen eher Echsen sind, irgendwann Winterschlaf o.Ä. so dass man abschätzen kann, wann die Invasion ein Ende nehmen müsste?

Mit freundlichen Grüßen

Antonia Scholl

Von: Jürgen Schwarz
An: Antonia Scholl
Cc: Martin Hartmann
Betreff: WG: AW: Blindschleichen in den Büroräumen ?

Hallo Frau Scholl,

eben weil Blindschleichen zu den Reptilien gehören gefällt ihnen möglicherweise die Wärme im Haus: Alle Eidechsen und Schlangen benötigen bei uns ein möglichst frostsicheres Winterquartier und so langsam muss man sich da im Herbst auf die Suche machen ;-))

Dass der Weg von der Tür zu weit sein soll? Wenn man vom Feierabend bis zum Morgen Zeit hat, kann auch eine Blindschleiche größere Wege zurücklegen… Es gibt ja zur Wärmedämmung spezielle Türlippen, die beim Schließen der Türe eine Dichtung nach unten klappen. Das könnte ggf. der Weg sein, die Türe „schlangendicht“ (und Zugluft-dicht) zu machen. Schreiner bauen so etwas ggf. ein.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Schwarz

Von: Antonia Scholl

An: Jürgen Schwarz

Betreff: AW: AW: Blindschleichen in den Büroräumen?

 

Lieber Herr Schwarz,

vielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Ich werde mir unsere Eingangstür doch noch einmal genauer anschauen und als Möglichkeit in Betracht ziehen. Da alle Blindschleichen im gleichen Büro aufgetaucht sind, und zwar in dem, das sich am weitesten von der Tür entfernt befindet und am dichtesten von Hecken, Sträuchern und Gärten umgeben ist, ging ich davon aus, dass sie irgendwo durch ein Loch o.Ä. gekommen sein müssten. Mit Sicherheit lässt sich das aber nicht sein. Deshalb gehe ich gerne jedem Hinweis nach.

Vielen Dank für Ihre Tipps, ich hoffe, dass wir unser Bürogebäude doch noch „schlangendicht“ bekommen.

Antonia Scholl

Als ich Herrn Krachwitz vom Ergebnis der Reschersche (sic!) berichte, keimt in ihm zum ersten Mal so etwas wie Galgenhumor auf. „Wie wäre es, wenn wir einfach ein Schild aufstellen, auf dem eine durchgestrichene Schlange zu sehen ist und darüber schreiben wir: Wir dürfen hier nicht rein.“ Meine Kollegin und ich sehen uns überrascht an und schenken ihm zur Belohnung ein ernstgemeintes Lächeln. Doch noch während der Alte neben mir steht, überlege ich mir, woher plötzlich dieser stechende Gestank kommt. Vielleicht wird er jetzt auch noch inkontinent, denke ich, und lache in mich hinein. Jedoch verschwindet der Geruch auch nicht, nachdem er unser Büro verlässt, weshalb ich neben mich auf den Boden schaue, wo ein großer, brauner Fleck auf dem abgewetzten Teppich zu sehen ist. „Der Chef ist in Hundescheiße getreten und verteilt es im ganzen Büro!“, entfährt es mir, die Spur aus unserem Arbeitsraum verfolgend. „Echt jetzt?“ erkundigt sich meine Kollegin, zu welcher der Gestank noch nicht durchgedrungen ist, bevor wir in hysterisches Gelächter ausbrechen. Natürlich bemerkt Herr Krachwitz selbst von der Sache nichts und keiner von uns fühlt sich dazu verpflichtet, ihn darüber in Kenntnis zu setzen, aus Angst, die Sauerei wegputzen zu müssen. Die Stunde bis zum Feierabend stehen wir tapfer durch und überlassen die Tretmine unserer Putzfrau.

Der Quell des Reptilienübels lässt sich nie wirklich aufklären, aber wir nehmen die Dinge mittlerweile selbst in die Hand. Schränke werden verrückt und mögliche Schlangeneingänge mit Papierkugeln und Tesafilm verstopft. Das Verschicken positiver Gedanken ans Universum rundet den Maßnahmenkatalog ab. Auch gut über ein Jahr später hat kein Reptil mehr seinen Weg zu uns gefunden. Ob es am Mangel an Möglichkeiten liegt, oder die abschreckende Warnung von Herrn Krachwitz die Ursache ist, ist unklar. Ich behaupte, dass das Universum endlich einmal Mitleid mit mir hatte.

Liste nicht vom Aussterben bedrohter Tierarten und Insekten, die ihren Weg in unser Büro gefunden haben:

  • Katzen (eine sogar über das Wochenende, die in ihrer misslichen Lage ohne Katzenklo unser Archiv, oder auch: Magazin, wie es Herr Krachwitz zu nennen pflegt, als solches verwendete)
  • Spinnen in den Größen small, medium, big und haarig fat
  • Falter
  • Blindschleichen (6 Stück)
  • Ameisen (mehr als 6 Stück)
  • Ameisen, die später zu einem fliegenden Ameisenstamm mutierten (Pokemonstyle)
  • Rote Riesenraupen mit Haaren, die in jeder ekel Dschungelprüfung zum Verspeisen dienen könnten
  • Tausendfüßler
  • Grashüpfer
  • Heuschrecken
  • Schmeißfliegen
  • Fruchtfliegen
  • Hornissen
  • Wespen
  • Bienen
  • Tanzende Wanzen
  • Marder, Ratte, Siebenschläfer o.Ä., der/die/das auf dem Dachboden lebt
  • notgeile, alte Böcke (weniger als 6, seit meinem Arbeitsbeginn ohne Mutation, mit und ohne Haaren; leben meines Wissens nicht auf dem Dachboden)

Auch aus diesem Erlebnis ziehe ich meine Lektion. Zum einen, dass man nicht in den Zoo gehen muss, um sich Tiere anzuschauen. Zum anderen, dass man seine Ansprüche auch mal etwas tiefer schrauben und einfach das Landleben genießen sollte.

 

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